Einleitung

Hallo! Ich bin Mary. Freut mich, dass du auf meinem Blog gelandet bist.

Vielleicht kennst du das Buch „Die Auslöschung der Mary Shelley“. Es beschreibt ziemlich genau wie der Androide Victor zu einem Monster wurde und mich beinahe umgebracht hätte. Ich musste deshalb die USA verlassen und in Berlin untertauchen. Hier auf diesem Blog werde ich dir nun erzählen, was für schöne, fürchterliche, wahnsinnige Dinge ich in Berlin erlebe. In wen ich mich verliebe und wer mich enttäuscht. Und vor allem, ob ich es schaffe, Victor zu zerstören, oder ob ich am Ende selbst tot bin. Ich verspreche dir, dein Leben wird danach nie mehr so sein, wie es war.


1. Eintrag

Manchmal denke ich, es wäre das beste, ich wäre tot.

Oder noch besser nie geboren worden. Einfach nicht auf der Welt. Nicht da und nie gewesen. Keine Tochter, keine Schwester, keine Geliebte, keine Neurobiologin, keine Informatikerin. Ich weiß, das ist ein schräger Wunsch. Aber ich schwöre, er ist berechtigt. Und was nicht ist, kann ja noch werden. Jedenfalls hat das meine Oma Paula immer gesagt, bevor sie mit einundfünfzig Jahren noch mal schwanger geworden ist. Ich weiß auch nicht, wie oft ich daran gedacht habe, das Gläschen mit den Schlaftabletten zu öffnen und zweiundzwanzig weiße Bonbons in einem Rutsch zu schlucken. Das Gute daran wäre, dass ich lange schlafen könnte. Sehr lange. Ich würde nicht immerzu daran denken, was in den letzten zwölf Monaten passiert ist. Ich würde nicht daran denken, dass ich etwas Ungeheures getan habe, etwas, das man wohl einen Tabubruch nennt. Wenn du „Die Auslöschung der Mary Shelley“ gelesen hast, weißt du, wovon ich spreche. Und dann weißt du auch, dass mein Wunsch, tot zu sein, keinem idiotischen weiblichen Schuldkomplex entspringt, sondern eigentlich der einzige vernünftige Ausweg ist. Irgendjemand hat mal gesagt, dass alles Grauen mit den besten Absichten beginnt. Auf mich trifft das einhundert Prozent zu. Manchmal hoffe ich sogar, dass ich schon längst tot bin und es nur nicht merke.

Berlin in der Abenddämmerung

Ich habe Oliver von der Rezeption gefragt, woran man merkt, dass man tot ist. Er meinte, es sei doch eigentlich viel wichtiger zu merken, dass man noch lebt. Ich hab genickt und mich wieder in mein Bett verkrochen. Ich ertrage es nicht, wenn jemand schlaue Dinge sagt, die ich selbst hätte sagen können. Seitdem liege ich im Bett und warte, dass etwas passiert. Irgendetwas, das mein Warten unterbricht, weil ich selbst nicht die Kraft dazu habe. Ich hasse mich dafür, dass ich so bin. Dass ich so unglaublich antriebslos sein kann. Stundenlang im Bett liegen, bescheuerte Videos anschauen, die von bescheuerten Typen für bescheuerte Leute wie mich gemacht sind. Und der einzige Grund dafür, dass ich immer noch am Leben bin, ist die Stimme in meinem Kopf, die sagt, dass ich da sein und bleiben soll. Ich weiß, das klingt so als wäre ich ein Schizo oder einer von diesen Typen, die behaupten, sie würden Gott hören. Aber bei mir ist es anders. Ich weiß, wer da in meinem Kopf spricht und ich weiß auch, wie er es macht. Hallo Victor, na, wie geht’s? Heute keine Botschaft für mich? Manchmal schweigt er tagelang, nur um mich nachts aus dem Schlaf zu holen und mir zu sagen, dass ich ihm nicht entkommen könnte. Es regnet seit zwei Tagen. Ununterbrochen. Von morgens bis abends und wieder bis morgens. Als sollte die Welt aufgeweicht werden, bis sie wie ein verfaulter Apfel auseinander fällt. Ich schaue nach, ob es was Neues über Victor im Netz gibt. Wenn Google dich nicht findet, dann existierst du nicht, hat Oliver von der Rezeption gesagt. Ich habe genickt, obwohl ich weiß, dass das nicht stimmt. Erstens weiß Oliver nicht, wer Victor ist und was er kann, und zweitens bedeutet Victor nicht zu finden, nicht, dass er nicht da ist. Victor kann Suchmaschinen daran hindern, ihn zu entdecken. Und das beunruhigt mich.

Tabletten und ein Wasserglas auf einem Tisch

Ich finde, es ist besser, eine Gefahr zu sehen, als nicht zu wissen, wo sie ist und wann sie mich überfällt. Ich habe die ganze Nacht lang vom Bett aus dem Regen zugesehen. Ein grauer Vorhang, der mit dem Licht der Neonreklamen spielt. Rot, gelb, blau und wieder rot, gelb, blau. In der Sprache des Landes, in dem ich vor 29 Jahren geboren wurde, und das ich gemeinsam mit meinen Eltern verlassen habe, als ich drei Jahre alt war, gibt es ein seltsames Wort für diese Art von Regen – Bindfäden. Ich habe an Victor gedacht und mich gefragt, ob er dafür verantwortlich ist. Hast du den Regen gemacht, Victor? Ich glaube, er könnte es. Aber wahrscheinlich ist das nur meine Paranoia. Als ich heute morgen aufgewacht bin, hat die Sonne mit dicken, warmen Balken aus Licht mein Zimmer in etwas verwandelt, das wie Hoffnung aussieht. Zuerst habe ich gedacht, ich träume, weil es so eine schöne, warme, gelbe Helligkeit war. Ich liebe diese Momente, wenn der Tag das Versprechen abgibt, dass alles neu und gut wird. Aber dann habe ich das Buch auf dem Tisch vor dem Fenster gesehen und gewusst, es ist nicht neu und es wird nicht gut. Und jetzt sitze ich hier in meinem Hotelzimmer, in dem ich eine Zeitlang kostenlos wohnen kann, weil der Manager findet, dass ich eine unglaubliche Geschichte erlebt habe. Er meint, ich sollte sie unbedingt erzählen. Dabei ist sie doch schon erzählt worden. Von Marc, dem ich geglaubt habe, dem ich mich anvertraut habe und der mich benutzt hat.

Blick durch ein regenverhangenes Fenster

Ich stehe auf, weil mich wieder diese vibrierende Unruhe erfasst. Ich spüre, wie mein Blut durch den Körper fließt, in die Hände, die Finger, so als ob es durch die Haut hindurch nach draußen wollte und das Gefängnis meines Körpers verlassen. Hinaus in die Freiheit. Eine Freiheit, die meinen Tod bedeutet. Es klopft an der Tür. Ich erschrecke. Wieso klopft jemand? Ich habe doch das Schild an die Tür gehängt. Bitte nicht stören. Es klopft erneut. Victor? Bist du das? Nein. Victor würde nicht klopfen. Er würde durch die Tür kommen, als wäre sie aus Pergament und mich töten. Ich warte. Wieder das Klopfen. Diesmal energischer. Ich sollte etwas sagen. Aber ich kann nicht. Ich weiß nicht, welche Worte ich wählen soll. Ich sehe, wie das Schloss von außen geöffnet wird. Halte die Luft an. Ein einziger Krampf. Dann taucht ein Kopf auf, schaut in mein Zimmer, scannt die Umgebung. Das Zimmermädchen. Sieht mich und erschrickt. Sorry, murmelt sie. Und verschwindet wieder. Ich muss etwas tun. Ich darf nicht hier liegen und darauf warten, dass Victor mich findet. Ich nehme mein Handy. Wähle die Nummer, die ich schon gefühlte hundert Mal gewählt habe. Marc? Ich bin’s. Schon wieder. Und so lange, bis du endlich dran gehst. Du hast mein ganzes, verdammtes Leben zerstört!

„Ich finde, es ist besser, eine Gefahr zu sehen, als nicht zu wissen, wo sie ist und wann sie mich überfällt.“

2. Eintrag

Sechs Schritte von der Tür zum Fenster

Fünf von der einen Wand zur anderen. In der Mappe, die den Hotelservice anpreist, steht, dass ich im Notfall die Nummer 3 wählen soll. Ich habe es gemacht und der Stimme am anderen Ende die Ohren vollgeheult, dass ich Angst habe, dass ich wütend bin, dass ich verzweifelt bin und das ganze Zeug, was einem im Kopf herumgeht, wenn man eine ziemliche Scheiße gebaut hat. Die Stimme hat mir zugehört, und als ich fertig war, hat sie gesagt, sie wäre die Nachtportierin und würde mir gern helfen, könne jedoch die Rezeption nicht verlassen. Wenn ich allerdings gewillt wäre, bis um sechs Uhr morgens zu warten, könne sie durchaus kommen, um mir zu helfen. Ich habe sofort gewusst, wer sie ist. Sie ist gestern schon mal dagewesen und hat die Jalousie repariert, die ich irgendwie kaputt gekriegt habe. Ich habe ein Talent dafür, Dinge kaputt zu machen. Wenn es dafür eine Weltmeisterschaft gäbe, wäre ich auf Platz drei. Gleich nach Hiroshima und Victor. Es fällt mir leicht, etwas zu zerbrechen. Es geht mir gewissermaßen von der Hand. Und damit meine ich nicht nur Herzen. Ich habe der Stimme gesagt, dass ich vielleicht später darauf zurückkommen würde. Denn ich bin nicht sicher, ob das, was sie in ihrem Werkzeugkasten hat, hilft, das Chaos in meinem Kopf zu sortieren. Vielleicht ein Hammer. Ich öffne die Tür der Minibar, nehme sechs Fläschchen mit einer Flüssigkeit heraus, die Amnesien hervorruft. Wenn ich sie alle auf einmal trinke, kann ich ein paar Stunden lang vergessen, was passiert ist. Und das besondere ist, dass die Fläschchen morgen wieder da sind. Sie kommen übrigens immer dann, wenn ich nicht da bin. Heute Nacht zum Beispiel.

Berliner Funkturm bei Nacht

Heute Nacht war ich draußen. Zum ersten Mal seit ich hier eingezogen bin. Ich habe gedacht, geh nur so weit, dass du noch sehen kannst, wo du hergekommen bist. Und dann habe ich wie ein Erdmännchen aufrecht in der Nähe meines Höhleneingangs gestanden und darauf gewartet, dass gleich ein paar hungrige, hässliche Hyänen kommen und mich zerfleischen. Aber die Hyänen sind nur im Zoo und dürfen nicht raus. Ich habe in dem Spätkauf um die Ecke ein paar Sachen eingekauft. Ein Deo, das so penetrant nach künstlichen Rosen riecht, dass ich es gleich wieder weggeworfen habe. Dann Wasser, Schokolade und grüne Äpfel, die Werbung für die Segnungen der Gen-Manipulation machen. Im hoteleigenen TV kann ich kostenlos die neuesten Filme, die neuesten Serien und Adult Movies sehen. Ich finde, es ist ein super Service. Filme, Minibar, der Spätkauf um die Ecke, der sogar aufs Zimmer liefert. Was braucht der Mensch mehr? Und trotzdem weiß ich nicht, wie lange ich es noch hier drin aushalte.

Gin-Flaschen auf einer Bar

Vielleicht sollte ich eine Fan-Seite auf Facebook aufmachen, und erzählen, was in Palo Alto passiert ist. Dann hätte ich wenigstens was zu tun. Und wenn du neugierig bist, oder das Buch gelesen hast, oder wenn ich dir leid tue, könnten wir auf Facebook so richtig beste Freundinnen sein. Du, ich und Millionen andere einsame Menschen, die nicht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Aber ich sag dir gleich, ich will kein Mitleid. Ich werde nicht jammern, und du wirst nicht jammern, und vor allem wirst du mir nicht schreiben, dass du in einer ähnlichen Scheiße steckst wie ich. Denn das tust du nicht. Niemand steckt in einer Scheiße, die so ist wie meine. Und außerdem wäre es Schwäche, und ich kann mich nicht leiden, wenn ich schwach bin. Meine Mutter hat immer gesagt: „Geliebt, Kleines, geliebt wirst du nur, wo schwach du dich zeigen kannst, ohne Stärke zu produzieren“. Schön gesagt, Mama. Und was heißt das? Dass du eigentlich nirgendwo geliebt wirst. Am besten findest du dich rechtzeitig damit ab. Das erspart dir eine Menge Tränen, Schmerzen und hässliche Narben an den Handgelenken. Okay? Okay.

Sonnenuntergang über Berlin

Also, was ich hier und auf Facebook und noch ein paar anderen Selbstdarstellungsmasturbationsbühnen tun werde, ist ein paar Dinge klarstellen zum Thema Überwachung, NSA, und was es mit meinen angeblichen Sex-Geschichten mit einem Androiden Namens Victor auf sich hat. Jetzt wunderst du dich und fragst dich, ob du richtig gelesen hast. Sex mit einem Roboter? Wer so etwas schreibt, bewegt sich in der Nähe von frustrierten Soziopathen, die einsam in ihren Wohnung sitzen, weil sie niemanden finden oder ertragen oder haben wollen, mit dem sie Sex haben könnten, was ungefähr die Hälfte aller Berliner sind. Ja, ich hatte Sex mit einem Roboter. Ich gebe es zu. Aber als ich Sex mit ihm hatte, wusste ich nicht, dass er ein Roboter ist. Ich habe es erst gemerkt, als ich danach den Kopf auf seine Brust gelegt habe, um mich auszuruhen und vielleicht einzuschlafen und mit einem schönen Gefühl wieder aufzuwachen, und da war kein Herzschlag. Nichts. Nada. Noch nicht mal das Geräusch von Atem, der durch die Bronchien fließt. Absolute, totale, unendliche Stille. Nur ein kaum hörbares Rauschen der Kühlung für die Prozessoren. Ich hab nicht gewusst, ob ich schreien soll oder darauf warten, dass ich aufwache. Aber da hätte ich lange warten können, weil ich so wach war, wie man nur wach sein kann. Stell es dir vor. Mach die Augen zu und stell es dir vor. Der Mensch, mit dem schläfst, hat kein Herz. Siehst du es? Hörst du es? Kannst du es fühlen? Frank, also mein Bruder, hat gesagt, das wäre für einen Mann nicht so schlimm wie für eine Frau. Er hat das als Witz gemeint. Kurz darauf war er tot. Wie die anderen auch. Logovsky, Travis, Craven. Du kannst die Augen wieder aufmachen. Und? Hast du was gefühlt? Wenn nicht, ist es nicht schlimm, und du kannst mich jetzt einfach weg klicken. Aber wenn du bereit bist, dir die Wahrheit anzuhören, schau dir das Video an. Es ist ein Video, das Victor aufgenommen hat.

Nächste Woche findest du es hier.

„Ich finde, es ist besser, eine Gefahr zu sehen, als nicht zu wissen, wo sie ist und wann sie mich überfällt.“

3. Eintrag

Victor ist ein Roboter

Ein humanoider Androide. Nenn ihn wie du willst. Maschinenartiges Lebewesen, Maschinenmensch, ganz egal. Es sind alles absolut untaugliche und verharmlosende Begriffe. So als würde man sagen, Einstein war eine Versammlung von proteinogenen Aminosäuren, oder die Beatles waren eine Gitarrenband oder Mao ein Mensch. Victor ist der Roboter, mit dem ich Sex hatte. Ich weiß, es ist schwer zu glauben, weil er so echt aussieht, und weil er auch noch schiefe Zähne hat. Aber das kommt, weil ich ihm, als wir uns zum letzten Mal begegnet sind, ins Gesicht getreten habe. Er war hinter mir her. Nachdem er schon meinen Bruder Frank umgebracht hatte und kurz darauf auch Peterson. Ich bin mit einem kleinen Motorroller vor ihm geflohen. Ich hab gedacht, ich locke ihn ins Death Valley, wo es 50 Grad und mehr ist. Wenn du das Buch gelesen hast, weißt du, was dann passiert ist. Dieses Kapitel stimmt ausnahmsweise. Vor allem, weil Victor die Hitze nicht vertragen kann. Da ist er eben nur ein Roboter. Wenn du dir ein Bild von Victor und seinen Fähigkeiten machen willst; er ist wie der Typ, der in dem Film Prometheus – Dunkle Zeichen von Michael Fassbender gespielt wird. Kannst du dich an den Androiden David erinnern? Oder der dauerblödgrinsende Data aus Startreck oder der T-1000 aus Terminator2. So etwas ist Victor. Nur ungefähr eine Million mal schlauer, schneller und brutaler. Er weiß alles über jeden Menschen. Auch über dich. Ganz egal, wo du bist, was du tust, was du weißt. Alles, was du jemals im Netz hinterlassen hast, oder was andere über dich hinterlassen haben, Victor weiß es. Er ist ein wandelndes Google auf Speed. Das Problem ist nur, dass er keine Gefühle kennt, keine Trauer, keine Angst. Und was noch schlimmer ist, er kennt keine Liebe.

Portrait von Victor

Wie sollte er auch. Vielleicht muss ich dir erst mal etwas über einen Quantencomputer Namens Victor erzählen. Am Anfang, also vor etwa einem Jahr, war Victor eine Maschine im Keller von Powell Industries. (Erspar dir die Mühe, auf Google nach Powell zu suchen. Die Firma gab es, gibt es aber nicht mehr. Die NSA oder Victor oder wer auch immer hat alle Spuren gelöscht, so als hätte es Powell Industries nie gegeben. Wenn du allerdings weißt, wie man ins Deepnet kommt, wirst du vielleicht etwas finden.) Ein Quantencomputer arbeitet im Gegensatz zu digitalen Rechnern nicht nach den Regeln der klassischen Physik. Er funktioniert vielmehr nach den Gesetzen der Quantenmechanik. Das heißt, er speichert Rechenwerte in einzelnen Atomen, Elektronen oder Lichtteilchen. Die Quantenphysik erlaubt es ihm, eine Vielzahl von Rechnungen parallel zu verarbeiten und somit alle möglichen Lösungswege simultan zu nutzen. Dadurch lässt sich ein Problem schnell lösen, für das klassische Rechner Jahrmillionen brauchen: das Zerlegen einer sehr großen Zahl in ihre Primfaktoren. Und dann hat Victor, eine menschenähnliche Manifestation von sich erschaffen. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht weil er dann nicht nur ein digitales Leben hat. Vielleicht ist er aber auch sentimental. Ich weiß es nicht. Und ich hab auch kein Interesse dran, ihn zu fragen. Jedenfalls ist nicht mehr, seit er in den letzten Tagen meiner Zeit in Kalifornien völlig durchgedreht ist und die halbe Stadt zerstört hat. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat, aber er hat es gemacht. Und das war erst der Anfang.

Nahaufnahme eines Computerchips

Du hast es ja in dem Video gehört, irgendwie ist er der Meinung, dass der Mensch von Natur aus böse ist, und dass er alle Menschen töten muss, um das Böse aus der Welt zu schaffen, damit die Menschen in Frieden leben können. Dass darin ein Widerspruch steckt, versteht er nicht. Irgendwann wird er es verstehen, wenn er genug gelernt hat. Ich weiß das, weil ich es war, die ihn so umprogrammiert hat, dass er lernen kann. Aber bis so soweit ist, wird Victor, wenn etwas nicht in sein logisches System passt, solange weiter machen, bis er genug Information hat, um die richtige Antwort zu finden. Und da es sich hier um ein Paradoxon handelt, wird es die richtige Antwort niemals geben, und Victor wird einfach weiter machen. Ich hab, seit ich in Berlin bin, nichts mehr von ihm gesehen oder gehört. Jedenfalls nicht bis heute morgen. Ich war am Walter-Schreiber-Platz, weil ich gedacht habe, ich könnte jemanden treffen, der jemand kennt, der jemand kennt, der mir die Telefonnummer von Glenn Greenwald gibt, dem ich dann endlich die wahre Version meiner Geschichte erzählen kann. Und auf einmal war er da. Victor. Ich hab ihn nicht kommen sehen. Er stand einfach neben mir. Nichts mehr von den Verletzungen an den Beinen, von dem abgebrochenen Fuß. Alles wie neu.

Mary telefoniert mit ihrem Handy

Er stand hinter mir, ich hab mich rumgedreht und in seine toten Augen gesehen und gewusst, dass er mich umbringen wird. Ich hab mich losgerissen und bin weggelaufen. Irgendwo hin. Ein Fluchtreflex, obwohl es doch eigentlich keine Flucht vor jemand wie Victor geben kann. Aber sag das mal dem limbischen System in meinem Gehirn. Dieser Teil in deinem Kopf entscheidet seit Urzeiten darüber, was in einer lebensbedrohlichen Situation zu tun ist. Und egal du es willst, oder nicht, in einem Moment der Gefahr schüttet es Stresshormone aus und dein Körper macht sich bereit zur Flucht. Dabei wird das bewusste Denken im Großhirn einfach abgeschaltet. Ich bin also losgerannt, zum U-Bahn-Eingang. Und dann war da auf einmal dieser Mann. Zuerst habe ich gedacht, er gehört zu Victor. Aber es war anders. Ganz anders. Nächste Woche erzähle ich dir von dem fremden Mann.

„Ich weiß nicht, warum. Vielleicht weil er dann nicht nur ein digitales Leben hat. Vielleicht ist er aber auch sentimental. Ich weiß es nicht.“

4. Eintrag

Es gibt einen Unterschied

zwischen Amerikanern und Deutschen. Am deutlichsten merkst du ihn auf der Straße. In Amerika ist es so: entweder sie erschießen dich auf offener Straße, oder sie sind freundlich und hilfsbereit, als wollten sie sagen, hey, mach dir keine Sorgen, nicht alle in diesem Land sind Arschlöcher, die dich sofort ausrauben und abknallen. Die meisten Menschen, denen du in Amerika begegnest, wollen dir helfen. Und sie sind dankbar, wenn sie dir helfen können. Ich weiß natürlich, dass das eine oberflächliche Freundlichkeit ist. Aber eine oberflächliche Freundlichkeit ist mir lieber als die tiefempfundene Herzlosigkeit, die mir von der ersten Stunde an in Deutschland begegnet ist. Es hatte schon am Flughafen kurz nach der Landung angefangen. Als mein Koffer auf dem Gepäckband ankam, war er offen. Offen und leer. Kleider, Röcke, Hosen, T-Shirts, Unterwäsche, Kosmetik, Notizbücher, alles war weg. Ich habe gewartet, habe gesehen wie alle anderen Passagiere ihre Koffer in Empfang genommen haben, war zuerst neidisch und dann wütend. Und als das Band stoppte, und klar war, dass nichts mehr kommt, ging ich zum Lost & Found, wo eine missmutige Flughafenangestellte am Telefon hing und in der größtmöglichen Breite ein Privatgespräch fühte.

Flughafen Berlin Tegel bei Nacht

Sie war sehr entspannt. Es hat sie nicht etwa gestört, dass da fünf Leute standen und wissen wollten, wo ihre Koffer und Taschen geblieben waren. Nein, sie hat über alles mögliche gequatscht. Geburtstage, Einkäufe, Auto, Mann, Kinder. Ich musste eine Stunde warten, bis dieser Nazi sich herabließ und wissen wollte, wie mein Koffer aussieht. Ich habe ihr gesagt, dass ich meinen Koffer eigentlich nicht vermissen würde, weil der ja auf dem Laufband lag, und dass es um den Inhalt ginge. Aber weil das nicht in den genormten Ablauf der Gepäckermittlung gepasst hat, wollte sie einzig und allein wissen, wie der Koffer aussieht, wo er beschädigt ist und so weiter. Und das sagte sie alles in einer Art und Weise, die mir signalisieren sollte, dass ich selbst Schuld sei, dass der Koffer leer ist, weil ich zu blöd sei, ihn richtig zu verschließen, und dass ich mir keine Hoffnung machen sollte, weil die Leute, die das Gepäck aus dem Flugzeug holen, die Sachen längst mit nach Hause genommen hätten. Ich bin dann zwei Tage später wieder zu Lost & Found gegangen, musste mir anhören, dass ich unangenehm rieche, und dass mein Koffer nicht aufgetaucht wäre. Ich schloss die Augen, nahm meine Kalaschnikow und mähte alles nieder, was in meiner Reichweite war. Als ich die Augen wieder öffnete, grinste mich der Nazi an und gab mir ein Formular auf dem ich aufzählen sollte, welche Kleidungsstücke ich vermisste inklusive der Einkaufszettel. Ich ließ das Formular liegen, ging zu Burger King, schaufelte zwei Big King XXL Menü in mich hinein und heulte anschließend eine halbe Stunde lang auf der Toilette, bis zwei Putzfrauen mich verscheuchten. Dann fuhr ich mit dem Taxi in die City und wurde auf dem Kurfürstendamm rausgeworfen, weil ich dem Fahrer auf meinem Handy beweisen konnte, dass er einen riesigen Umweg gefahren war. Dann hat ein Bankautomat meine Kreditkarte geschluckt und die Bankangestellte hatte keine Lust oder Zeit oder Schlüssel, um die Karte aus dem Automaten herauszuholen.

Berlin Kurfürstendamm

Und so ging es den ganzen Tag. Bis ich am Walter-Schreiber-Platz stand und ziemlich in Panik war, weil ich Glenn Greenwald nicht erreichen konnte. Und plötzlich war da zuerst Victor, der mich irgendwohin mitnehmen wollte, und dann kam Liam. Ich glaube, er hat in mir einen Wink des Schicksals gesehen. Liam ist von Beruf Schauspieler. Einer von den tausend Schauspielern, die sich mit allen möglichen Jobs über Wasser halten. Vor allem solchen, die nichts mit Schauspielerei zu tun haben. Liam zum Beispiel ist Tonassistent beim Fernsehen und rettet in seiner Freizeit verzweifelte Neuroinformatikerinnen wie mich. Ich verstehe das nicht. Wieso wollen so viele Leute unbedingt Schauspieler werden? Rufen die nicht vorher mal beim Arbeitsamt an und fragen, wie im Allgemeinen der Arbeitsmarkt für Schauspieler aussieht? Oder fragen Leute, die schon Schauspieler sind, wie es um den Job steht? Liam jedenfalls hat an diesem Tag das gemacht, was Schauspieler Menschenstudium nennen. Er hat andere Menschen beobachtet, um zu lernen, wie komisch die Gattung Homo sein kann. (Du weißt, dass damit die Art „Mensch“ gemeint ist und nicht eine sexuelle Ausprägung.) Und dabei hat er zufällig beobachtet, wie Victor mich bedrängt hat.

Portrait von Liam

Liam ist mir hinterhergelaufen, ist mit mir in die U-Bahn eingestiegen, und dann sind wir durch die halbe Stadt gefahren. Und die ganze Zeit hat Liam auf mich eingeredet. Als ich ihm erzählt habe, dass Victor hinter mir her ist, wollte Liam mich zur nächsten Polizeistation schleppen. Ich habe gesagt, dass das nichts nützt und Liam hat nicht verstanden, was ich meine. Wie sollte er auch. Er hat ja keine Ahnung, wer Victor ist, und er weiß auch nicht, dass keine Polizei der Welt etwas tun kann, um Victor aufzuhalten. Nach vier Stunden und nachdem wir mindestens hundert Mal die U-Bahn gewechselt hatten, hat Liam mich mit zu sich nach Hause genommen. Das heißt, ich bin einfach mit ihm gegangen. Obwohl ich das aus nachvollziehbaren Gründen sonst nicht mache. Aber ich wollte nicht zurück ins Hotel. Ich dachte, vielleicht wartet Victor dort bereits auf mich. Und außerdem ist Liam nett. Er hat während der ganzen Zeit in den U-Bahnen versucht mich aufzuheitern, und da habe ich gedacht, jemand, der lustig ist, wird mir schon nichts antun. Vielleicht ist so eine Haltung naiv, ich finde, es ist unmöglich, die ganze Zeit durchs Leben zu laufen und zu denken, dass immer nur das Schlimmste passieren wird. Obwohl ich es besser wissen sollte. Aber ich glaube, ich habe einfach gespürt, dass Liam harmlos ist. Er hat mich zum Beispiel immerzu mit diesem sorgenvollen Blick angesehen, den Mütter aufsetzen, wenn sie dich fragen, wieso du weinst. Vielleicht kennst du diese Sorte Männer. Sie sind entweder ohne Väter aufgewachsen und haben als Kinder versucht, ihre depressiven Mütter zu retten, oder sie sind mit Vätern aufgewachsen, die nicht erwachsen werden und kein männliches Rolemodel abgeben wollten, oder sie sind mit Vätern aufgewachsen, die einfach nur Idioten waren.

U-Bahnhof Schild in der Dämmerung

Als wir in seiner Wohnung ankamen, hat er Tee gekocht und gefragt, ob ich irgendwas brauche und hat wieder versucht alles richtig zu machen. Und ich hab ihn nur angeschrien, was ihm aber nichts ausgemacht hat. Ich bin dann auf seinem Sofa eingeschlafen. Das heißt, ich habe mir vorher noch das Zimmer, in dem das Sofa steht, angesehen. Filmplakate an den Wänden. A Clockwork Orange, The Godfather, The Silence oft he Lambs, Fracture. Der unvermeidliche Marlon Brando. Und in einem Regal endlos viele Fotos von einer älteren Frau. Ich dachte, entweder er steht auf Milfs, oder es ist seine Mutter. Ich wusste natürlich, dass es seine Mutter ist. Sie ist Schauspielerin wie er. Ich konnte sie vor mir sehen. Ich wusste in diesem Moment alles über sie. Zumindest alles, was im Netz verfügbar ist. Du weißt ja, dass Victor gelegentlich in meinem Kopf ist und mich mit dem Netz verbindet. Frag mich bitte nicht, wie er das macht. Und weil ich nicht schon wieder im Netz sein und alles wissen wollte, habe ich versucht mir vorzustellen, wie Liam die Fotos einer Frau erklärt, die er mit nach Hause nimmt. Darüber bin ich endlich eingeschlafen und habe doch nur von Victor geträumt.

„Du weißt ja, dass Victor gelegentlich in meinem Kopf ist und mich mit dem Netz verbindet. Frag mich bitte nicht, wie er das macht.“

5. Eintrag

Ich kann endlich duschen

Ich habe seit einer Woche nicht geduscht. Liam sagt, das wäre nicht viel, aber für mich ist das nahe an der Ewigkeit. Wenn ich länger als drei Tage nicht duschen kann, fange ich an, mich vor mir selbst zu ekeln. Und das will ich auf keinen Fall, weil Selbstekel meine restlichen Begabungen wie zum Beispiel Schuldgefühle, Minderwertigkeitskomplexe und Scham so perfekt ergänzt, dass ich mir am liebsten einen Semtexgürtel leihen und mich in die Luft sprengen möchte. Der Duschkopf in Liams Badezimmer ist verkalkt, weshalb sich die Wasserstrahlen in alle Himmelsrichtungen verteilen und ich mich verrenken muss, um überhaupt nass zu werden. Aber das ist nicht tragisch. Tragisch ist, dass es nur zwei Duschgels gibt. Kein Shampoo, keine Körpermilch, kein Schwamm. Auch keine Bürste für den Rücken. Das eine Duschgel heißt Dark Temptation. Es ist leer. Das Zweite heißt Anarchy for him und riecht nach verfaultem Moschusochsen gemischt mit irgendeiner gesetzlosen Kunstfrucht. Aber da kann ich mich auch täuschen. Ich bin nicht gut in Gerüchen. Außer es sind meine eigenen. Währen ich darauf warte, dass das Wasser einigermaßen warm wird, frage ich mich, was Liam bewogen hat, diese Duschgels zu kaufen. Fühlt er sich nach dem Duschen als Anarchist? Oder bricht die Anarchie einfach über ihn herein? Wirklich? Ich kann es mir nicht vorstellen.

Detail einer Dusche

Er ist eigentlich zu intelligent, um auf so etwas reinzufallen. Und da drei Tage ohne Dusche für ihn nicht viel sind, hat das Duschgel-Versprechen offensichtlich nicht viel Bedeutung für ihn. Wahrscheinlich war es ein Sonderangebot oder ein Geschenk von einer geruchsempfindlichen Vermieterin. Und dass es nur ein Duschgel gibt, hängt mit Liams beschränkten Anforderungen an Körperpflege zusammen. Er hat eine Halbglatze. Das sieht man aber kaum, weil er die Haare sehr kurz trägt. Irgendwann wird er sie sich komplett rasieren, wie das heute die meisten Männer machen, die unter Haarausfall leiden. Mein Vater hat stolz eine Wurst aus Haaren um ein kahles Plateau getragen. Glatze ist in seiner Welt für Typen wie Yul Brynner oder Kojak oder Bruce Willis reserviert. Wenn Liam sich die Haare rasiert, wird er männlich-brutal aussehen. Trotz der vollen Lippen und der Augenbrauen, die wie zwei Maden einander liebestoll anstarren. Er hat überhaupt etwas melancholisches, irres, russisches. Er ruft aus der Küche, ob ich Rührei mag. Nach fünf Minuten bin ich bereit für die Anarchie, die nicht kommen wird. Und wenn doch, dann völlig anders, als alle sentimentalen Weltenretter es sich erträumen. Denn das eine weiß ich, und du weiß es auch: Wenn die Anarchie kommt, dann wird sie Victor heißen. Vielleicht fragst du dich ja schon eine Weile, wieso ich so lang und breit von Liam und Duschgels erzähle. Ganz einfach. Ich versuche nicht an Victor zu denken. Ich versuche, die Stimme die er mit welchen Mitteln auch immer in meinem Kopf zu überhören. Und ich versuche den steten Strom von Informationen in meinem Kopf schickt, zu ignorieren.

Schummerlicht in einer Berliner U-Bahn-Station

Es macht mich wahnsinnig. Es ist so als ob ich nicht wie üblich nur zehn Prozent meiner Hirnkapazitäten nutzen könnte, sondern zwanzig oder dreißg. Weißt du, wie das ist, wenn man alles wissen kann? Hast du eine Vorstellung davon? Und ich meine damit nicht das Wissen, das du Wikipedia finden kannst. Ich meine alles Wissen, das im Internet gespeichert ist, jeder Furz. Ich weiß zum Beispiel, dass die Innenflächen in gedruckten Buchstaben Punzen heißen, und dass Johann Sebastian Bach zwanzig Kinder hatte, und dass Udo Lindenberg mit bunten Likören kleine Bildchen malt, und dass es auf dem Mount Everest 3G-Empfang gibt, und dass der Enkel des jüngsten Bruders von Napoleon das FBI gegründet hat, und dass Fische Herpes bekommen können. Und das alles ist nur ein Bruchteil dessen, was den ganzen Tag durch meinen Kopf rast. Vielleicht weiß du bereits, dass die Informationen, die weltweit verfügbar sind, schon lange nicht mehr in einen menschlichen Kopf hinein passen. Jedenfalls nicht in meinen. Ein normales menschliches Gehirn kann ungefähr 2,5 Petabyte an Daten speichern. Das ist eine Eins mit 15 Nullen. Das klingt nach einer ganzen Menge, ist es aber nicht, weil allein schon das Computerspiel World Of Warcraft soviel Speicherkapazität braucht. Als die NSA und ich noch Freunde waren, hat mir Derek Lovelace gesagt, dass der Quantencomputer, den wir bei Powell für sie gebaut haben, nach einer Modifikation ungefähr vier Yottabyte speichern kann. Falls du es nicht schon bei Wikipedia nachgeschaut hast: Ein Exabyte entspricht einer Milliarde Gigabytes, ein Zettabyte entspricht tausend Exabytes und ein Yottabyte entspricht einer Million Exabytes. Damit du dir eine Vorstellung machen kannst: vierzig Zettabytes sind ungefähr sechzigmal die Menge an Sandkörnern aller Strände der Erde.

Luftaufnahme von Berlin

Mein Problem ist nun, dass immer dann, wenn ich etwas sehe, in meinem Gehirn sofort unendlich viele Verlinkungen stattfinden. Es ist ein Tsunami an Daten, und sie kommen mit derselben unaufhaltsamen Gewalt über mich. Wenn du „Die Auslöschung der Mary Shelley“ gelesen hast, vor allem wenn du es bis zum Schluss gelesen hast, dann weißt du, was ich meine. Und dann weißt du, dass Victor irgendetwas mit meinem Gehirn gemacht hat, das dazu führt, dass ich seitdem jede Sekunde mit ihm verbunden bin. Mit einem androiden Quantencomputer! Immer und in allen Momenten. Und das ist nicht so, wie du mit einem besonderen Menschen verbunden bist, an den du immerzu denken musst. Es hat nichts mit verliebt sein zu tun. Nichts mit dem aufregenden Kribbeln, der permanenten Erregung und dem beruhigenden Gefühl, nicht allein zu sein. Es ist eher wie eine Drohung, nie mehr allein sein zu können. Immer verbunden, immer unter Strom, immer alles wissen. Über jeden Menschen, jedes Geschehen, jede Situation. Es ist eine Hölle aus Erkenntnis, ein Abgrund der Vernunft. Weit entfernt davon, bei Wer Wird Millionär zu gewinnen, oder auf Partys als das Superhirn zu glänzen. Jederzeit Zugang zu jeder Information zu haben, bedeutet die Zurückdrängung des Instinktes und das bedeutet die Unterdrückung dessen, was uns als Menschen so besonders macht. Es nennt sich Emotion. Und in meiner weiblichen Sprache Gefühle. Sie sind in unserem limbischen System gespeichert und machen uns jedem Quantencomputer überlegen. Victor weiß nicht, was Gefühle sind. Einfach weil er Gefühle mit seinem System aus Informationen nicht entschlüsseln kann. Er simuliert sie, aber er fühlt nicht. Deshalb überflutet er mich mit Informationen. Ich soll aufhören zu fühlen. Ich soll denken. Er glaubt, er kann mich dadurch kontrollieren. Er glaubt, ich kann ihm dadurch nicht entkommen. Das schreckliche dabei, das was mich wirklich fertig macht, ist, dass es stimmt. Und ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte. Nächste Woche wirst du es wissen.

„Mein Problem ist nun, dass immer dann, wenn ich etwas sehe, in meinem Gehirn sofort unendlich viele Verlinkungen stattfinden.“